Wednesday, June 15, 2011

Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung


Grüner Aufschwung - Milieuschutz

Glück heißt auf spießig: Zufriedenheit. Also nichts Großes. Aber ganz sicher etwas, was niemand verlieren will. Was eine Volkspartei wirklich braucht, sind Spießer. Die Grünen haben das längst erkannt - mit Erfolg.



11. Juni 2011 
Nichts gegen Bullerbü. Aber Frankfurt ist auch ganz gut. In den citynahen Stadtteilen grünt und blüht es in den Vorgärten, auf Balkons und Terrassen. Baumlose Straßen gibt es kaum. Der Autoverkehr wälzt sich über die Haupttrassen, aber in den Wohnquartieren daneben sind die Leute mit dem Fahrrad unterwegs. Es gibt so gut wie alles gleich um die Ecke, im Sommer sind das gekühlte Glas Wein und das multikulturelle Essen für niemanden ferner als fünf Minuten zu Fuß. Der Weg zur Arbeit ist auch nicht weit, und wenn man noch irgendetwas braucht, was es nicht in nächster Nähe gibt, dann legt man eben fünf Minuten drauf und ist in der Innenstadt, dem Habitat von Kommerz, Kultur und Kirche – das sich nicht zuletzt dadurch auszeichnet, dass man es schnell verlassen kann.
Es gibt in allen deutschen Städten Viertel wie Frankfurt-Ostend, -Bornheim, -Nordend, die noch vor zwanzig Jahren nicht besonders beliebt waren und keineswegs besonders teuer. Wer es sich leisten konnte, zog in die wohlhabenderen Stadtteile oder in die Vorstädte. Aber inzwischen hat in den alten Kiezen die sogenannte Gentrifizierung eingesetzt. Weil immer mehr Leute merken, wie angenehm es sich hier leben lässt, wird dieses Leben teurer. Mietshäuser werden in Eigentumswohnungen umgewandelt, die neue Schicht der Leute, die sich hohe Preise oder hohe Schulden leisten, verdrängt die Kiezbewohner. Die wählen nicht zu knapp grün.

Milieuschutz – ja, bitte! Atomkraft – nein, danke!

In Frankfurt haben CDU und Grüne jetzt eine „Milieuschutz“-Satzung eingeführt. Sie soll verhindern, dass die Neureichen oder Neuverschuldeten die Leute aus den Stadtteilen drängen, die sie zu dem gemacht haben, was sie sind. Plakativ gesagt: die grüne Klientel, die dort besonders stark ist. Noch plakativer gesagt: Wer nicht in die Vorstadt will und bisher nicht grün gewählt hat, kann sich noch einmal gut überlegen, wem er bei den Wahlen seine Stimme gibt. Milieuschutz – ja, bitte! Atomkraft – nein, danke!
Was soll bitte daran schlecht sein, mit dem Fahrrad durch seinen Stadtteil zu fahren und nicht radioaktiv verstrahlt zu werden? In einem hübschen Niedrigenergiehaus zu wohnen, wie in den einschlägigen Musterquartieren in Freiburg oder Tübingen, und auch genug soziale Macht zu haben, um den nervigen Bus auf seiner Tour durch das Viertel nebenan zu schicken – wo die Leute wohnen, die ihre Interessen bei der Sozialdemokratie oder gar der Linkspartei aufgehoben sehen, weil ihre Kaufkraft für nichts Besseres reicht? Und diese Wähler wiederum reichen nicht für eine Volkspartei.

Was eine Volkspartei wirklich braucht, sind Spießer.
Leute die nie geglaubt haben, dass sie der Superstar sind, den Deutschland sucht, oder den Glauben daran längst verloren haben. Die irgendwann einmal in eine feuchte Neubau- oder eine kahle Altbauwohnung gezogen sind, die Dielen abgeschliffen, ihre Rosen gepflanzt, ihren Rasen gepflegt haben. Ja: Es sind Leute, die hegen und pflegen. Ihre Kinder zum Beispiel. Und ihren Besitz. Ihren Lebensstil. Glück würden sie das nicht nennen. Glück heißt auf Spießig: Zufriedenheit. Also nichts Großes. Aber ganz sicher etwas, was diese Leute nicht verlieren wollen. Leute wie du und ich. Klar, keiner will sich selbst als Spießer sehen. Aber: Wir sind die Mehrheit im Lande.

Es gibt massenweise grüne Spießer

Woher kommt denn der Widerstand gegen Stuttgart 21? Da gibt es viele Ursachen. Doch die wichtigste ist, dass die meisten Bürger dieser ziemlich überschaubaren Stadt schlicht und einfach keine Riesenbaustelle vor der Haustür haben wollen. Und zwar gerade die eigentlich zufriedenen Leute, nicht zuletzt jene unter ihnen, die sich gelegentlich schon einmal ausrechnen, wie viele Jahre sie womöglich noch haben – Jahre mit oder ohne Kräne vor dem Haus.
Eine Volkspartei braucht Spießer. Es sind nämlich nicht nur die Besitzlosen, die politisch Druck machen, die Armen, die Unterprivilegierten, die jungen Leute: weil sie um Teilhabe kämpfen, um ihren Platz in der Welt. Mindestens ebenso viel Druck machen Personen, die all das haben – und damit zugleich die Angst, es zu verlieren. Die es schützen wollen. Und die wollen, dass man sie schützt. Ein legitimer Anspruch an die Politik. Milieuschutz.
Eine Volkspartei braucht Spießer. Und es gibt massenweise grüne Spießer.
Es stimmt nicht, dass der Aufschwung der Grünen durch die Laufzeitdebatte und mehr noch durch Fukushima verursacht wurde. Beschleunigt, keine Frage. Aber nicht verursacht. Der grüne Aufschwung begann deutlich früher. Er fiel zusammen mit dem Ansehensverlust der schwarz-gelben Koalition. Die Union kann den Grünen das Atomthema nicht rauben, weil die es schon lange nicht mehr brauchen. Ein grünes Kernthema? Ja, natürlich – aber eins, das längst abgefrühstückt ist. Wie es die Grünen wollten. Beigedreht haben die anderen. Ein Milieu verfestigt sich, das andere löst sich auf.


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